Die Begründung der Jury
Jan Koneffke entwirft in seinem Roman „Ein Sonntagskind“ ein deutsches Panorama, das vom Zweiten Weltkrieg über das Jahr 1989 bis in die Gegenwart führt. Der „Versuch, einen Vater zu finden“ (Uwe Johnson) führt den Erzähler zur Näherung an eine bislang unbekannte Lebensgeschichte.
Eng an die Perspektive der Vaterfigur gebunden, wird der Leser mit einem Geflecht von Schuld, Verdrängung, Selbstbetrug und Schweigen konfrontiert. Der Fund von Briefen des damals jungen Wehrmachtssoldaten stört den recherchierenden Sohn in hohem Maße auf und lässt die Figur des Vaters in einem anderen Licht erscheinen.
Wie bei Uwe Johnson wird offenkundig, auf welche Weise der Einzelne im 20. Jahrhundert in die gesellschaftlichen Zeitläufte hineingezogen wurde und es zu Brüchen in der Biographie gekommen ist. So zeigt Jan Koneffke, wie erschreckend widerstandslos sich der spätere linksliberale Philosophieprofessor als Landser im Zweiten Weltkrieg eingeordnet hat und zum Handlanger eines unmenschlichen Systems wurde. Dennoch wird – wie bei Uwe Johnson – die kathartische Entdeckung von Schuld und Verstrickung nicht zur Projektionsfläche für moralische Aburteilung durch die Nachgeborenen, sondern zum Ausgangspunkt für (selbst)kritische Fragen nach dem Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen.
Jan Koneffke zieht mit seiner Romantrilogie einen faszinierenden Bogen, der mit der Vertreibung aus Pommern einsetzt („Eine nie vergessene Geschichte“), über den Zweiten Weltkrieg von Berlin nach Bukarest führt („Die sieben Leben des Felix Kannmacher“) und mit „Ein Sonntagskind“ in einer historischen Gegenwart ankommt.
Zum Buch
Winter 1944/45: Um seinen unreifen Sohn Konrad vor den Werbern der SS zu retten, drängt dessen Nazi-skeptischer Vater ihn, freiwillig Reserveoffizier bei der Wehrmacht zu werden; kurz darauf rät er ihm sogar zur Fahnenflucht – Hitlerjunge Konrad graut es zwar vor Kampfeinsätzen, zugleich ist er aber über den mangelnden Patriotismus des Vaters entsetzt und überlegt ernsthaft, ihn anzuzeigen.
Der Krieg macht durch Zufälle aus dem Feigling einen Helden, er bekommt sogar das Eiserne Kreuz Erster Klasse. Prahlend berichtet er darüber in Briefen an ferne Kameraden. Nach dem Kriegsende jedoch sieht die Welt anders aus. Der vorher verachtete Vater wird zum Leitstern. Konrad schämt sich zutiefst für seine Kriegstaten und verschweigt sie hartnäckig – erst recht, als er (gefordert von einem ehemaligen Widerständler) Philosophiedozent wird, Schwerpunkt Ethik.
Konrad gerät in Frankfurt, inzwischen Professor, ins linke Milieu – und mitten in die Wirren der Studentenbewegung. Als die Staatssicherheit der DDR über einen ehemaligen Kriegskameraden an kompromittierende Informationen über ihn gelangt, wird es brenzlig, aber es gelingt dem Sonntagskind Konrad, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Kein Wunder, dass er – Jahre später – die Nachricht vom Fall der Mauer nicht nur mit Freude hört. Erst sein Sohn wird die prahlenden Jugendbriefe seines Vaters finden – und darin einen Menschen, den er nicht kennt und dessen wahre Identität er rekonstruieren will.
Jan Koneffke erzählt von den biografischen Rissen einer Generation, deren Jugend von Propaganda, Krieg, Entnazifizierung und deren Leben in der BRD von ihren Jugenderinnerungen geprägt waren. Ein monumentaler Roman, der deutsche Geschichte vom Weltkrieg bis zur Wende erzählt und zugleich ein großangelegter Versuch ist, die Generation von Günter Grass, Walter Jens, Helmut Schmidt u. a. zu verstehen.
Zum Autor
Jan Koneffke, geboren 1960 in Darmstadt, studierte und arbeitete ab 1981 in Berlin. Nach seinem Villa-Massimo-Stipendium 1995 lebte er für weitere sieben Jahre in Rom und pendelt heute zwischen Wien, Bukarest und dem Karpatenort Măneciu. Jan Koneffke schreibt Romane, Lyrik, Kinderbücher, Essays und übersetzt aus dem Italienischen und Rumänischen.